Hannes Halldórsson
Filmreifer Spätstarter
Hannes Halldórsson wird bei der Europameisterschaft 2016 berühmt, weil er neben seinem Job als isländischer Fußballtorwart als Filmemacher arbeitet. Auch seine eigene Karriere ist filmreif: Sie wäre fast beendet gewesen, bevor sie steil bergauf ging.
„Meine Geschichte ist wie einer dieser Sportfilme aus Hollywood“, hat Hannes Thor Halldórsson einmal gesagt: „Ein Underdog kämpft sich nach oben. Dann kommt ein Tiefschlag. Und schließlich doch das Happy End.“
Erste Chance: vergeben
Der Wendepunkt in seiner Geschichte ist der 5. September 2004, Hannes ist 20 und Ersatzkeeper beim Drittligisten Leiknir. Im letzten Saisonspiel darf er erstmals ran, Tabellenführer Leiknir spielt gegen Vikingur, den Drittplatzierten, der Gewinner steigt auf. Darauf hat Hannes die ganze Saison gewartet, er ruft TV-Stationen an, dass sie vorbeikommen und schlägt dann bei einem Ball im Strafraum in den Boden – der gegnerische Stürmer muss nur einschieben. Im isländischen Fernsehen ist danach nur die Szene zu sehen, wie Leiknir den Aufstieg vergeigt.
Dazu muss man sagen: Eigentlich war Hannes Karriere schon vor dem Zeitpunkt beendet. Mit sechs Jahren fing er an, bei Rekordmeister KR Rejkjavik als Torhüter ausgebildet zu werden, bis er 14 ist, gilt er als talentiert. Doch dann liefert er sich mit seinem Vater ein Rennen auf dem Snowboard und verletzt sich an der Schulter. In den kommenden Jahren kugelt sie immer wieder aus und er macht kein Spiel, bis er mit 19 operiert wird.
In der Zeit konzentriert sich Hannes lieber auf seine Leidenschaft: Filme machen. Er dreht Werbespots, Musikvideos und einen Trailer für eine Comedyshow und macht sich schnell einen Namen, seine Freunde wissen nicht mal, dass er eigentlich Torhüter war.
Doch der „Hannes Kick“ von Leiknir lässt ihn nicht los: Er will es auch im Fußball schaffen und beginnt, stundenlang an einer Betonwand sich selbst Bälle zuzuspielen, um vor allem seinen Fuß zu trainieren, bis dato seine Schwäche.
Endlich ganz oben
Über die dritte, zweite und erste Liga landet er wieder bei KR Rejkjavik und debütiert mit 27 Jahren in der Nationalmannschaft Islands – exakt sieben Jahre und einen Tag nach seinem sportlichen Tiefpunkt. „Meine Geschichten haben immer nach einem langen Anlauf einen kurzen Stopp nach zwei Dritteln“, sagt Hannes, der danach Vollzeit als Regisseur arbeitet und Fußball spielt – bis er sich mit 29 Jahren für letzteren entscheidet, nachdem er erstmals Vater wurde und alles zu viel geworden war.
Danach ging es nur noch bergauf. Er wurde Meister mit KR und wechselt nach Norwegen, Island qualifiziert sich mit Hannes im Tor erstmals für ein großes Turnier.
Bei der Europameisterschaft 2016 knöpft das kleine Land zum Auftakt dem späteren Europameister Portugal ein 1:1 ab, Nani und Cristiano Ronaldo scheitern immer wieder an Hannes. Im Achtelfinale siegt Island sogar 2:1 gegen England, das bis dato größte Spiel für den 1,94 Meter großen Keeper, der als „Gegenentwurf zum modernen, durchgestylten Fußballprofi“ bezeichnet wird.
Nebenbei schneidet Hannes immer noch Filme, er sagt: „Ich bin wahrscheinlich der Einzige, der einen Werbespot in Torwartkluft und Handschuhen gedreht hat. So was gibt es nur in Island.“ Nach seiner Karriere – das hat ihm sein Arbeitgeber zugesichert – kann er dort wieder als Regisseur anfangen.
Sportlich kommt es bei der WM 2018 noch besser: Hannes hält einen Elfmeter von Lionel Messi, Argentinien schafft nur ein 1:1 gegen Island. „Ich wusste, dass die Situation kommen könnte. Ich habe mir viele Messi-Elfmeter angeschaut, zudem habe ich mir viele von meinen Elfmetern angeschaut“, verriet Hannes später: „Dem besten Spieler der Welt bei einem Elfmeter zu begegnen, ist ein großer Moment. Es ist ein Traum, der wahr wird.“
Und nach jenem Moment, dem Höhepunkt seiner Karriere, dachte Hannes auch an seine Anfänge: In Reithallen voll mit Schotter, Steinen und Pferdemist, wo er vier Lagen Kleidung tragen musste, um sich nicht zu verletzen. „Manchmal bin ich auch in kniehohem Schnee zum Training gerannt und danach wieder zurück. Ich bin nicht sicher, ob Messi das jemals tun musste“, sagt Hannes, der der lebende Beweis dafür ist, dass alles möglich ist, wenn man bereit ist zu kämpfen – egal, welche Rückschläge es gegeben hatte.